Tag 3. Sprachpolitik und Minderheitensprachen

Überall in der Romania finden sich Situationen, in denen romanische Sprachen mit Minderheitensprachen bzw. minorisierten Sprachen oder Varietäten in Kontakt stehen. In Europa sind das beispielsweise das Spanische im Kontakt mit dem Katalanischen, dem Galicischen und der nichtromanischen Sprache Baskisch und das Französische im Kontakt mit dem Korsischen, dem Okzitanischen und der nichtromanischen Sprache Flämisch. In der Neuen Romania zählen zahlreiche indigene Sprachen zu den Minderheitensprachen oder minorisierten Sprachen, wie Nahuatl, Quechua, Guaraní, Mapudungun.

In vielen Ländern der Romania stellen Sprecher von Minderheitensprachen zudem einen Großteil der Bevölkerung dar, wie etwa in Peru, Paraguay, Senegal oder Guinea. Auch in der EU sind 10 Prozent der Bevölkerung (ca. 50 Mio. Menschen) Sprecher einer „regional or minority language“ (The Strasbourg Manifesto 2014: 2), laut Europarat (2010) sind es sogar 100 Mio. Menschen in ganz Europa. 60 von insgesamt 90 europäischen Sprachen werden vom Europarat (2010) als „regional or minority languages“ eingestuft. Doch nicht immer werden diese Sprachen auch in der Gesetzgebung berücksichtigt.

Eine veränderte Einstellung gegenüber Minderheitensprachen bzw. minorisierten Sprachen auf staatlicher Ebene hat in den vergangenen Jahrzehnten zu Veränderungen in der Sprachgesetzgebung in vielen Ländern geführt und bedingt diese noch immer. Auch internationale Abkommen und die Arbeit von gesellschaftlichen Initiativen und Nichtregierungsorganisationen wie das European Language Equality Network, der Euskararen Gizarte Erakundeen Kontseilua (dt. Rat der gesellschaftlichen Einrichtungen der baskischen Sprache) oder jener Einrichtungen, die an der Ausarbeitung der Declaració Universal de Drets Lingüístics 1996 in Barcelona beteiligt waren, trugen und tragen dazu bei. Hinzu kommt der Anteil, den die Globalisierung und die neuen Medien an der Veränderung der Situation und der Wahrnehmung nicht nur der Minderheitensprachen, sondern auch der großen (romanischen) Sprachen haben, wie Bastardas i Boadas (2002) unterstreicht:

This extended language contact and the polyglottal needs of more and more members of human groups that were, up until now, non-minority (in the traditional sense of the word), are generating feelings of cultural threat and defensive reactions, previously only experienced by groups habitually minoritized through political integration without official and public recognition. Although these feelings of linguistic insecurity and threat may be exaggerated in most cases, this effect of globalization could be a good starting point for a serious review of the foundations of the linguistic organization of mankind as a whole. Now that this sense of feeling threatened is not exclusive to politically-subordinated groups, now that it encompasses those that are beginning to suffer from the (inter)dependence of economies, technology and the mass media, it should be used to increase understanding of the classical situation of minorization by larger, minoritizing groups.

Der dritte Tag der Sommerschule ist speziell der Situation der Minderheitensprachen in der Romania gewidmet. Während es an den ersten beiden Tagen zur Sprachpolitik „von oben“ und „von unten“ in erster Linie um die romanischen Sprachen gehen soll, werden am dritten Tag neben den romanischen besonders nichtromanische Minderheitensprachen bzw. minorisierte Sprachen in der Romania behandelt. Zudem stehen an diesem Tag konkrete praktische, auf die Anwendung bezogene Fragen im Mittelpunkt. Wesentliche Fragen werden dabei sein: Wie sieht die sprachrechtliche Situation der Sprecher von Minderheitensprachen oder minorisierten Sprachen in den Ländern aus, in denen es keine – oder keine explizite, overte – sprachpolitische Gesetzgebung gibt oder die internationale Abkommen wie die Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities oder die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen nicht ratifiziert haben? Welche privaten Initiativen oder Organisationen setzen sich in den einzelnen Ländern der Romania z. B. für den Erhalt oder die Wiederbelebung von Minderheitensprachen als Gegengewicht zur Gesetzgebung ihrer Länder oder Regionen ein? Wie gehen sie dabei vor? Welche Maßnahmen werden ergriffen und wie werden diese konkret umgesetzt? Welche Erfolge konnten sie bislang verbuchen? Welche Rolle spielen bei ihren Aktivitäten Dokumente wie die Declaració Universal de Drets Lingüístics oder das Hizkutza Eskubideak Bermatzeko Protokoloa (offizielle englische Übersetzung Protocol to Ensure Languages Rights) von Donostia-San Sebastian (2016)?

Außerdem soll es an diesem dritten Tag um die Herausforderungen und Möglichkeiten gehen, die das 21. Jahrhundert für Minderheitensprachen bzw. minorisierte Sprachen und ihre Koexistenz mit den „großen“ romanischen Sprachen mit sich bringt. Wie Bastardas i Boadas (2002) hervorhebt, bedeuten Globalisierung und der weltweit immer bessere und stabilere Zugang zu neuen Medien – etwa durch den Gebrauch von Smartphones und den Ausbau von Mobilfunknetzen – nämlich nicht nur, dass es immer mehr Anlässe und „Räume“ für den Einsatz von Minderheitensprachen und minorisierten Sprachen gibt. Vielmehr stellt diese „Eroberung“ aus Sicht zumindest einiger Sprecher von Mehrheitssprachen auch eine Gefahr, wenn nicht gar einen Angriff auf die Vormachtstellung der großen Sprachen dar. Zugleich wird von institutioneller Seite, etwa vom Europarat, dazu ermutigt, mehr als eine Sprache zu lernen, denn Sprecher von Minderheitensprachen sprächen in der Regel mehr als eine Sprache, was ihnen Vorteile gegenüber einsprachigen Individuen verschaffe, wenn auch nicht gesagt wird, welche das sind:

„Minority language speakers usually also speak the national language of their country. This puts them at an advantage compared to those who have the national language as their mother tongue, one in two of whom can speak no other language“ (Europarat 2010).

Als praktischer Ansatz zum Thema ist für den Nachmittag des dritten Tages ein Workshop zur Ökolinguistik vorgesehen, in dem sich die Teilnehmer in einem Debattierspiel mit verschiedenen sprachpolitischen Aspekten der Minderheitensprache Baskisch auseinandersetzen werden.